UPC Update
September 2024
1. Grundlegendes
Ein neues System zur Durchsetzung und Nichtigerklärung von Patenten in der Europäischen Union (EU), das sogenannte europäische Einheitspatentsystem, ist seit 1. Juni 2023[1] in Kraft. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Anmelder nach der Erteilung eines europäischen Patents (EP) ein Patent für die gesamte EU (oder zumindest für die meisten EU-Mitgliedstaaten) erhalten können, wodurch die Notwendigkeit entfällt, das erteilte Patent in ausgewählten EU-Ländern separat zu nationalisieren.
Das „Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung“ (kurz: europäisches Einheitspatent, EU-EP) ist eine der beiden Säulen dieses von den EU-Mitgliedsstaaten[2] eingerichteten neuen Systems. Die zweite Säule ist das Europäische Einheitliche Patentgericht (EPG), das für EU-EPs ausschließlich gerichtlich zuständig ist.
Das neue System lässt das Anmelde-, Prüfungs- und Erteilungsverfahren für EPs beim Europäischen Patentamt (EPA) unverändert, erst nach Erteilung eines EPs gibt es die folgenden Neuerungen:
Da das neue System von der Europäischen Union (EU) eingerichtet wurde, werden alle Nicht-EU-Mitgliedstaaten des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ), einschließlich des Vereinigten Königreichs und weiterer Länder wie der Schweiz, Norwegen und der Türkei, nicht daran teilnehmen. Darüber hinaus werden auch die EU-Länder Kroatien, Polen und auch Spanien nicht am neuen System teilnehmen. Ein EU-EP kann mit nationalen Patenten in den teilnehmenden Ländern und mit nationalen Teilen europäischer Patente in nicht teilnehmenden EPÜ-Mitgliedstaaten koexistieren.
Nach dem Beitritt Rumäniens zum neuen EPG-System am 1. September 2024 nehmen die folgenden 18 EU-Mitgliedstaaten teil:
Sechs weitere EU-Länder sollen zu einem späteren Zeitpunkt beitreten (je nachdem, wann sie das EPG-Übereinkommen ratifizieren), und zwar
Die folgende Karte veranschaulicht die geografische Abdeckung, die ein EU-EP bieten wird, sobald alle erwähnten 24 EU-Länder am neuen System teilnehmen:
2. Verfahrenstechnische Aspekte
Das neue europäische Einheitspatentsystem (auch als „EU-EP-System“ bezeichnet) ist seit 1. Juni 2023 in Kraft.
Seit Inkrafttreten können Anmelder/Inhaber eines erteilten europäischen Patents innerhalb eines Monats nach Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung ein EU-EP beantragen[4]. Diese Frist ist (erheblich) kürzer ist als die Frist für die „traditionelle“ Nationalisierung eines EP in den einzelnen Ländern (drei Monate). Außerdem ist diese einmonatige Frist nicht verlängerbar und es gibt keinen regulären Rechtsbehelf, falls diese Frist versäumt wird. Zu beachten ist weiterhin auch, dass bestehende EPs, die bereits auf herkömmliche Weise erteilt und nationalisiert wurden, nicht in Einheitspatente umgewandelt werden können, und dass für die EU-Länder, die das EPG-Abkommen zum Zeitpunkt der Erteilung nicht ratifiziert haben (und natürlich für alle Nicht-EU-Länder), eine separate „traditionelle“ Nationalisierung erforderlich ist, falls Schutz in diesen Ländern erwünscht ist.
Zusammen mit dem Antrag auf ein EU-EP muss eine vollständige Übersetzung des EPs eingereicht werden. Wurde das Patent in englischer Sprache erteilt, muss eine vollständige Übersetzung der Patentschrift in eine der anderen Amtssprachen der EU eingereicht werden. Da Deutschland die größte Volkswirtschaft unter den EPG-Mitgliedstaaten ist, bietet sich eine Übersetzung ins Deutsche an. Wurde das Patent in Französisch oder Deutsch erteilt, muss eine vollständige Übersetzung der EP-Schrift ins Englische eingereicht werden.
Auch nach dem Start des EU-EP-Systems ist es weiterhin möglich, den „traditionellen“ Weg der gesonderten Nationalisierung des erteilten europäischen Patents in einigen oder allen am neuen System teilnehmenden Ländern (d. h. die Erlangung eines europäischen Bündelpatents) als Alternative zur Beantragung eines EU-EPs zu nutzen. Welche Möglichkeit die vorteilhafteste ist (EU-EP oder „traditionelles“ Bündelpatent), kann durch eine Analyse von Kosten- und strategischen Aspekten ermittelt werden, die im Folgenden noch ausführlich erörtert werden.
Wichtig an den neuen Regelungen ist auch, dass das neue Einheitliche Patentgericht (EPG) mit Inkrafttreten des neuen Systems auch die ausschließliche gerichtliche Zuständigkeit für die Durchsetzung und Nichtigerklärung „traditioneller“ europäischer Bündelpatente mit Wirkung für einen oder mehrere der teilnehmenden Mitgliedstaaten hat. Das EPG ist also nicht nur für EU-EPs zuständig, sondern auch für die nationalen Teile eines EPs, die in einem oder mehreren der teilnehmenden Länder bestehen, und zwar sowohl für neu auf „traditionelle“ Weise nationalisierte EP-Bündelpatente als auch für bereits bestehende. Es gilt damit also auch für alle nationalen Teile von EPs in den teilnehmenden Ländern, die bereits vor dem Inkrafttreten des neuen Systems erteilt und nationalisiert wurden (vorausgesetzt, der Anmeldetag war der 1. März 2007 oder später). Für alle „traditionelle“ nationalisierten EPs kann jedoch ein „Opt-out“ von der ausschließlichen Zuständigkeit des EPG erklärt werden (und damit die Zuständigkeit des EPG vermieden werden), was für ein EU-EP nicht möglich ist.
Falls beispielsweise ein im Jahr 2020 erteiltes EP in Frankreich, Deutschland, Spanien und Großbritannien nationalisiert wurde, hat automatisch das EPG die ausschließliche Zuständigkeit für den französischen und deutschen Teil in Bezug auf Durchsetzung und Nichtigkeit und wird solche Verfahren für den französischen und den deutschen nationalen Teil in einem gemeinsamen Verfahren verhandeln, es sei denn, es wird ein „Opt-out“ erklärt: In diesem Fall gilt das alte System mit der Zuständigkeit der nationalen Gerichte. Das Inkrafttreten des Einheitspatentsystems hat jedoch keine Auswirkungen auf die getrennten nationalen Verfahren für den spanischen und den britischen Teil des EP, da sowohl Spanien als auch Großbritannien nicht am neuen System teilnehmen werden.
Es ist noch darauf hinzuweisen, dass die Inhaber bereits bestehender „traditioneller“ europäischer Bündelpatente eine dreimonatige „Sunrise“-Periode vor dem Datum des Inkrafttretens des neuen Systems nutzen können, um durch eine „Opt-out“-Erklärung die Zuständigkeit des EPGs zu vermeiden.
Für alle EP, die auf „traditionelle“ Weise nationalisiert wurden/werden (unabhängig davon, ob sie vor oder nach dem Inkrafttreten des Einheitspatentsystems erteilt wurden) kann ein „Opt-out“ jederzeit während der Laufzeit der nationalen Teile des EP erklärt werden. Eine „Opt-out“- Erklärung ist jedoch dann nicht mehr möglich, sobald von einem Dritten eine Nichtigkeitsklage gegen das Patent beim EPG eingereicht wird oder wenn der Patentinhaber eine Klage gegen einen möglichen Verletzer vor dem EPG anstrengt.
Weiterhin zu beachten ist, dass ein „Opt-out“ für jedes EP einzeln erklärt werden muss, d.h. jede Patentnummer muss in einer Opt-out-Erklärung aufgeführt werden. Das IT-Team des EPG bestätigte jedoch, dass eine Sammeloption zum Opt-out für mehr als ein Patent eines Anmelders mit demselben Antrag möglich ist. Es ist auch nicht notwendig, das Opt-out separat für die betreffenden Vertragsmitgliedstaaten zu melden.
Falls der Patentinhaber nach dem „Opt-out“ seine Meinung ändert, kann er durch eine „Opt-in“-Erklärung die „Opt-out“-Erklärung zurücknehmen. Eine solche Rücknahme eines „Opt-out“ ist jedoch ausgeschlossen, wenn bereits vor einem nationalen Gericht eine Klage in Bezug auf einen der nationalen Teile des Bündelpatents erhoben wurde. Außerdem ist nach einem „Opt-in“ ein zweites „Opt-out“ nicht möglich.
Das EPA hat weitere Informationen zur Erlangung, Aufrechterhaltung und Verwaltung des Einheitspatents in einem hilfreichen Leitfaden[5] zusammengestellt.
3. Kostenaspekte
Da sich durch das neue System am Anmelde- bzw. Erteilungsverfahren vor dem EPA nichts ändert, bleiben die Kosten für die Anmeldung und Verfolgung eines EPs bis zur Erteilung gleich. Durch die Beantragung eines EU-EPs anstelle einer separaten Nationalisierung in den teilnehmenden Ländern kann nach der Erteilung eines EP jedoch eine (sehr) erhebliche Kostenreduzierung erzielt werden, je nach Auswahl bzw. Anzahl der Länder, in denen Schutz gewünscht wird.
Ein Beispiel soll dies erläutern: Die separate Nationalisierung eines erteilten europäischen Patents auf „traditionelle“ Weise in derzeit allen 18 Mitgliedstaaten, verursacht für einen durchschnittlichen Fall Kosten in der Größenordnung von 20.000 bis 40.000 Euro (einschließlich typischer Gebühren von Patentanwaltskanzleien, amtlicher Gebühren und Übersetzungskosten, die je nach Länge des Textes erheblich variieren können).
Die Erlangung eines EU-EP anstelle einer „traditionellen“ Nationalisierung in allen teilnehmenden Ländern für denselben durchschnittlichen Fall verursacht hingegen lediglich Kosten in Höhe von etwa 2.000 bis 4.000 Euro (einschließlich Patentanwalts- und Übersetzungskosten), so dass in diesem Szenario eine enorme Kostenreduzierung durch das EU-EP erreicht werden kann, die noch größer sein wird, sobald alle 24 teilnehmenden Länder (siehe oben) dem neuen System beigetreten sein werden.
Wird dagegen für ein erteiltes EP z.B. nur Schutz in Großbritannien (UK), Deutschland (DE), Frankreich (FR) und Spanien (ES) angestrebt, muss zum einen das Patent in UK und ES ohnehin auf „traditionelle“ Weise nationalisiert werden (da diese Länder nicht am neuen System teilnehmen), so dass durch die Beantragung eines EU-EPs diesbezüglich keine Kosteneinsparungen möglich sind. Zum anderen liegen die Kosten für eine „traditionelle“ Nationalisierung in DE und FR lediglich um oder sogar unter 1.000 Euro (da keine Übersetzung eingereicht werden muss), während die Beantragung eines EU-EPs (das u.a. DE und FR abdeckt) aufgrund der erforderlichen Übersetzungskosten in einem durchschnittlichen Fall 2.000 bis 4.000 Euro betragen wird, wie oben bereits ausgeführt.
Als Faustregel kann man sagen, dass immer dann, wenn Schutz in mindestens 4 am EU-EP-System teilnehmenden Ländern gewünscht wird, die Erlangung eines Einheitspatents kostengünstiger als eine separate Nationalisierung in diesen Ländern auf dem „traditionellen“ Weg ist (wobei das EU-EP dann ja den Schutz in allen 18 bzw. zukünftig 24 Mitgliedsstaaten bietet). Natürlich wird der Kostenvorteil umso größer sein, je mehr teilnehmende Mitgliedsstaaten es sind, in denen Schutz gewünscht wird.
Einen weiteren wichtigen Kostenaspekt stellen die Gebühren zur Aufrechterhaltung des Patents dar. Im Gegensatz zu den nationalen Teilen eines „traditionellen“ EP-Bündelpatents, für die Aufrechterhaltungsgebühren an jedes der nationalen Patentämter gesondert gezahlt werden müssen, ist für ein EU-EP nur eine einzige Jahresgebühr zentral an das EPA zu entrichten. Dies bietet neben möglichen Einsparungen bei den Amtsgebühren auch den Vorteil, dass die Überwachung der Fristen für die Aufrechterhaltungsgebühren und das Zahlungsverfahren vereinfacht wird, die in der Regel ebenfalls mit Kosten verbunden ist.
Die Höhe der amtlichen Jahresgebühren für ein europäisches Einheitspatent wurde so festgesetzt, dass sie der Summe der Aufrechterhaltungsgebühren entsprechen, die an die nationalen Ämter der vier EU-Länder zu zahlen sind, in denen die meisten EP „traditionell“ nationalisiert wurden (DE, UK, FR, NL). Zum Zeitpunkt der Festsetzung der Gebühren gehörte Großbritannien noch zu diesen vier Ländern; die festgelegten Gebühren wurden nach dem Brexit beibehalten. Dementsprechend betragen die amtlichen Aufrechterhaltungsgebühren für ein EU-EP z.B. 475 Euro im 6. Jahr und 4.855 Euro im 20. Jahr[6].
Die Gesamtgebühren, die an die nationalen Ämter der 18 Länder zu zahlen sind, die aktuell am neuen System teilnehmen (oder sogar an die 24 teilnehmenden Länder, sobald das System vollständig ausgeweitet ist), sind für ein „traditionelles“ europäisches Bündelpatent viel höher, wenn man davon ausgeht, dass das Patent in allen diesen Ländern aufrechterhalten werden soll. Nach Berechnungen des EPA belaufen sie sich auf 3.250 Euro für das 6. Jahr bis 19.227 Euro für das 20. Jahr für 25 Länder. In den Berechnungen des EPA ist Großbritannien noch enthalten, aber selbst wenn man die britische Aufrechterhaltungsgebühr abzieht, ist klar, dass die Jahresgebühren für ein EU-EP viel niedriger sind als die Summe der Gebühren für die einzelnen Länder, die von einem UP abgedeckt werden.
Ein weiterer Aspekt ist, dass in der Praxis zusätzliche Kosten für die Überwachung und die Zahlung der Aufrechterhaltungsgebühren anfallen werden, die für ein EU-EP natürlich nur einmal anfallen, während sie für ein herkömmliches europäisches Bündelpatent mit der Anzahl der aufrechtzuerhaltenden Länder multipliziert werden müssen.
Ähnlich wie bei den Nationalisierungskosten hängt der potenzielle Kostenvorteil bei den Aufrechterhaltungsgebühren für ein EP daher stark von der Anzahl und der Art der Länder ab, in denen das Patent aufrechterhalten werden soll. Wenn ein EP beispielsweise nur in DE, FR, UK und ES aufrechterhalten werden soll, fallen zum einen die nationalen Erhaltungsgebühren in UK und ES an, die nicht vom neuen Systems betroffen sind. Zum anderen fallen die Gebühren für DE und FR an, die für ein nur in DE und FR nationalisiertes europäisches Bündelpatent separat an die nationalen Ämter bzw. im Falle eines EU-EP (das u.a. DE und FR abdeckt) an das EPA zu entrichten sind.
Die Summe der nationalen Erhaltungsgebühren für DE und FR beträgt z.B. für das 6. Jahr 206 Euro und für das 20. Jahr 2.740 Euro, während sich die Gebühren im Falle des EU-EP auf 475 Euro für das 6. Jahr und 4.855 Euro für das 20. Jahr belaufen. Selbst wenn weitere Gebühren für die Überwachung und die Zahlung der Verlängerungen berücksichtigt werden (die für das DE/FR-Patentbündel etwa doppelt so hoch sind wie für das EU-EP), ist klar, dass die nationalen Aufrechterhaltungskosten in diesem Szenario deutlich niedriger sind als die Aufrechterhaltungskosten für das EU-EP.
Hier zeigt der Vergleich der Kosten für die Zahlung von Aufrechterhaltungsgebühren an die nationalen Ämter (für ein europäisches Bündelpatent) und der Zahlung für die Aufrechterhaltung eines EU-EP, dass die Aufrechterhaltung eines EP-Patents in den Fällen, in denen das europäische Patent in mindestens drei oder vier am einheitlichen Patentsystem teilnehmenden Ländern aufrechterhalten werden soll, kostengünstiger sein wird als die Aufrechterhaltung eines europäischen Bündelpatents in denselben Ländern. Der Kostenvorteil wird natürlich umso größer, je größer die Zahl der teilnehmenden Länder ist, in denen das EP aufrechterhalten werden soll. Zu bedenken ist jedoch, dass der Patentinhaber im Falle eines EU-EPs dieses nicht selektiv in einzelnen Mitgliedsstaaten „fallenlassen“ kann, um die Aufrechterhaltungskosten zu senken.
4. Das Einheitliche Patentgericht (EPG)
Das EPG ist die zweite Säule des neuen europäischen Einheitspatentsystems und wurde durch das „Übereinkommen über das EPG“ (EPGÜ)[7] eingerichtet. Es handelt sich dabei um ein gemeinsames internationales Gericht der teilnehmenden Mitgliedstaaten, das die ausschließliche Zuständigkeit für die Verletzung und Nichtigerklärung von Einheitspatenten und im Prinzip auch für die nationalen Teile der in den teilnehmenden Mitgliedstaaten gültigen „traditionellen“ europäischen Bündelpatente hat.
Während eines Übergangszeitraums von 7 Jahren (der um weitere 7 Jahre verlängert werden kann) wird es Patentinhabern jedoch möglich sein, sich der Zuständigkeit des EPG für traditionelle europäische Bündelpatente durch eine „Opt-out“-Erklärung zu entziehen, wie oben bereits erläutert (siehe Punkt 2.). Wenn ein EP beispielsweise in Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien „traditionell“ nationalisiert wurde, wird das EPG die ausschließliche Zuständigkeit für den deutschen und französischen Teil haben und somit wird es sowohl für die Verletzung als auch für die Nichtigerklärung ein gemeinsames Verfahren am EPG geben, es sei denn, der Patentinhaber erklärt ein „Opt-out“. Dies kann jederzeit während des Übergangszeitraums erfolgen.
Für EPs, für die das EPG ausschließlich zuständig ist, hat eine Entscheidung dieses Gerichts einheitliche Wirkung in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten, in denen das betreffende EU-EP oder „traditionelle“ Bündel-EP in Kraft ist.
Während des Übergangszeitraums von sieben Jahren nach Inkrafttreten des neuen Systems kann eine Verletzungsklage auf der Grundlage eines „traditionellen“ europäischen Bündelpatents oder eine Nichtigkeitsklage gegen ein solches Patent aber auch weiterhin vor den nationalen Gerichten oder anderen zuständigen nationalen Behörden erhoben werden, selbst wenn der Patentinhaber kein „Opt-out“ erklärt hat. Wenn ein „Opt-out“ erklärt wurde, sind, wie erwähnt, grundsätzlich die nationalen Gerichte während der verbleibenden Laufzeit des Bündelpatents zuständig.
Die erste Instanz des EPG umfasst mehrere lokale und regionale Abteilungen, die über die teilnehmenden Mitgliedstaaten verteilt sind, sowie eine zentrale Abteilung mit Sitz in Paris und München. Im Allgemeinen sind die lokalen und regionalen Kammern für Verletzungsklagen zuständig, während die Zentralkammer die ausschließliche Zuständigkeit für und Nichtigkeitsklagen und negative Feststellungsklagen (also Klagen, die darauf abzielen, dass gerichtlich festgestellt wird, dass ein bestimmten EP nicht verletzt wird) hat. Die zweite Instanz („Berufungsgericht“) ist in Luxemburg angesiedelt.
Die örtliche Zuständigkeit des EPG ist wie folgt aufgeteilt:
Mit der EPG-Nichtigkeitsklage steht Dritten erstmals ein Verfahren zur Verfügung, mit dem die Nichtigerklärung eines gesamten europäischen Patents (für alle am Einheitspatent teilnehmenden Länder) zu jedem Zeitpunkt während der Laufzeit des Patents verfolgt werden kann. Gegenwärtig ist der zentrale Widerruf eines EP nur mittels des EPA-Einspruchsverfahrens möglich (allerdings dann für alle Teile des EP einschließlich aller am EU-EP-System teilnehmenden und nicht-teilnehmenden Länder). Ein solches Einspruchsverfahren muss jedoch innerhalb von neun Monaten nach Erteilung des Patents eingeleitet werden. Nach Ablauf der Einspruchsfrist bestand bisher die einzige Möglichkeit, ein EP anzugreifen, darin, in den einzelnen Nationalisierungsstaaten separate nationale Nichtigkeitsklagen zu betreiben. Diese sind jedoch nur für ein Land wirksam und sind in der Regel zeitaufwändig und teuer, wenn mehrere Nichtigkeitsklagen in verschiedenen Ländern geführt werden sollen.
Im Vergleich zu mehreren nationalen Nichtigkeitsklagen kann die EPG-Nichtigkeitsklage mit vergleichsweise moderaten Kosten eingeleitet werden. Außerdem ist im Falle eines erfolglosen Angriffs der Erstattungsbetrag für die Prozesskosten des Patentinhabers gedeckelt, wenn auch auf einem relativ hohen Niveau. Für Dritte wird es also mit dem neuen System leichter und attraktiver werden, ein EU-EP oder ein „traditionell“ nationalisiertes EP, für das kein „Opt-out“ erklärt wurde, anzugreifen, wenn die Einspruchsfrist versäumt wurde oder ein Einspruch beim EPA erfolglos war.
Das EPG muss seine Entscheidungen auf das Recht der EU, das EPG-Übereinkommen, das EPÜ, andere anwendbare internationale Übereinkommen, die für alle Mitgliedstaaten verbindlich sind, und das nationale Recht der teilnehmenden Länder stützen. Es ist zu erwarten, dass sich das EPG bei Nichtigkeitsklagen eng an die von den Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts entwickelte Rechtsprechung halten wird, soweit es um formelle und materielle Fragen der Patentierbarkeit geht.
Die Entscheidungen des EPG über Verletzungsklagen werden sicherlich die bestehende nationale Rechtsprechung in den Mitgliedsstaaten berücksichtigen und sich an ihr orientieren (z.B. an der etablierten deutschen Rechtsprechung). Da die Verletzungsrechtsprechung in den am EU-EP-System teilnehmenden Ländern aber bis zu einem gewissen Grad variiert, wird das EPG Wege finden müssen, die bestehende Rechtsprechung der teilnehmenden Länder zu harmonisieren, so dass es einige Zeit dauern kann, bis Klarheit über die genaue Sicht des EPG in Verletzungsangelegenheiten besteht.
Weiterhin muss das EPG mit dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zusammenarbeiten. Insbesondere kann es den EuGH um Vorabentscheidungen
zur Auslegung der EU-Verträge und zur Gültigkeit und Auslegung von Rechtsakten der Organe und Einrichtungen der EU ersuchen. Die Entscheidungen des EuGH sind für das EPG verbindlich.
Die Kostenstruktur für Verfahren vor dem EPG ist eng an das deutsche Verletzungs- bzw. Nichtigkeitsverfahren angelehnt. Für die Einleitung eines Verletzungsverfahrens vor dem EPG ist eine Gerichtsgebühr an das EPG zu entrichten, die sich aus einem festen Anteil (11.000 Euro) und einem variablen Anteil in Abhängigkeit vom sogenannten Streitwert des Verfahrens zusammensetzt. Dieser variable Anteil liegt zwischen 0 Euro (Streitwert bis 500.000 Euro) und 325.000 Euro (Streitwert über 50 Mio. Euro).
Vor dem deutschen Bundespatentgericht beträgt der Streitwert für ein durchschnittliches Patent in der Regel 500.000 bis 1 Mio. Euro. Da das EPG normalerweise für mehr als ein Land über eine Patentverletzung entscheidet, dürfte der Streitwert vor dem EPG höher anzusetzen sein, z.B. zwischen 1 Mio. und 4 Mio. Euro für einen durchschnittlichen Fall. Damit läge der variable Anteil der Gerichtsgebühren zwischen 4.000 Euro (Streitwert 1 Mio. Euro) und 26.000 Euro (Streitwert 4 Mio. Euro) und dementsprechend der Gesamtbetrag der Gerichtsgebühren des EPG bei 15.000 bis 37.000 Euro für durchschnittliche Verletzungsfälle. Für Nichtigkeitsverfahren wird lediglich ein Fest- bzw. Höchstbetrag (11.000 Euro für eine Nichtigkeitsklage und max. 20.000 Euro für eine Nichtigkeitswiderklage) als Gerichtsgebühren ohne einen Streitwertanteil zu entrichten sein.
Ähnlich wie im deutschen System hat die obsiegende Partei auch im EPG-Verfahren Anspruch auf Erstattung ihrer Kosten (Gerichts- und Vertretungskosten, wie z.B. Anwaltshonorare). Für die Vertretungskosten gibt es einen erstattungsfähigen Höchstbetrag, der sich nach dem Streitwert bemisst. Dieser Höchstbetrag ist jedoch recht hoch angesetzt (z.B. beträgt der Höchstbetrag 112.000 Euro bei einem Streitwert von 1 Mio. Euro und 400.000 Euro bei einem Streitwert von 4 Mio. Euro), so dass im Normalfall die Vertretungskosten der obsiegenden Partei gut abgedeckt sein sollten.
Die angegebenen Zahlen für die Gerichtsgebühren und die Vertretungskosten gelten für eine Instanz. Für die beiden möglichen Instanzen (Gericht erster Instanz und Berufungsgericht) betragen die Kosten etwa das Doppelte dieser Beträge.
Weitere ausführliche Informationen zu allen Aspekten des EPG können z.B. unter https://www.unified-patent-court.org/[8] abgerufen werden.
5. Vor- und Nachteile des Europäischen Einheitspatentsystems
Die wichtigsten Überlegungen, die im Hinblick auf das neue EU-EP-System angestellt werden sollten, sind folgende:
Für Antworten auf diese Fragen spielen Kostenaspekte sowie strategische Überlegungen eine Rolle.
Die Kostenaspekte betreffen vor allem die Frage, ob eher ein EU-EP oder ein „traditionelles“ europäisches Bündelpatent für ein erteiltes EP gewählt werden soll. Im Gegensatz dazu sollten Kostenaspekte bei der Frage, ob man sich für oder gegen ein „Opt-out“ aus dem EPG-System entscheidet (was ohnehin nur für ein „traditionelles“ europäisches Bündelpatent und nicht für ein EU-EP möglich ist), keine große Rolle spielen, da das „Opt-out“ durch eine einfache Erklärung erreicht werden kann, für die keine amtliche Gebühr fällig wird.
Die Kostenaspekte wurden unter Punkt 3. ausführlich erläutert und betreffen sowohl die Kosten für die Erlangung des Einheitspatents/Bündelpatents als auch die Aufrechterhaltungsgebühren. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl bei den Kosten für die Erlangung des Schutzes als auch bei den Aufrechterhaltungsgebühren ein EU-EP kostengünstiger ist, wenn Schutz in mindestens 3 bis 4 der am EU-EP-System teilnehmenden Länder gewünscht wird.
Die strategischen Überlegungen betreffen hauptsächlich die Frage, ob eine ausschließliche Zuständigkeit des EPG für ein EP wünschenswert ist oder nicht. Wie oben erörtert, wird das EPG für alle „traditionell“ nationalisierten EPs, für die kein „Opt-out“ erklärt wurde und natürlich für alle EU-EPs sowohl für Verletzungs- als auch für Nichtigkeitsverfahren ausschließlich zuständig sein. Für Patentinhaber ist ersteres eher von Vorteil, da im Falle einer Verletzung nicht in jedem der betroffenen nationalen Länder ein separates Verletzungsverfahren eingeleitet werden muss (was sicherlich kostspielig und mühsam ist), sondern die Verletzung in allen am EPG teilnehmenden Ländern „in einem Zug“ gestoppt und Schadensersatz eingefordert werden kann, vorausgesetzt natürlich, dass das Verfahren erfolgreich ist.
Dieser Vorteil des EPG-Verletzungsverfahrens für Patentinhaber ist natürlich in Industriezweigen von größerer Bedeutung, in denen Verletzungsverfahren häufiger sind, wie z.B. im Maschinenbau oder in der Elektronik, und ist eher weniger bedeutsam, wo solche Verfahren seltener vorkommen, wie z.B. in der chemischen Industrie.
Beim Nichtigkeitsverfahren wird die ausschließliche Zuständigkeit des EPG eher ein Nachteil für Patentinhaber sein, weil Dritte das Patent in allen am EPG teilnehmenden Ländern mit einer einzigen Klage angreifen können. Dies war bisher nur im Einspruchsverfahren gegen ein EP möglich, das ja das EP sogar in allen Länder des EPÜ (einschließlich z.B. Großbritanniens) erfasst. Ein Angriff auf ein EP durch eine Nichtigkeitsklage beim EPG ist jederzeit während der Laufzeit des Patents und sogar nach Abschluss eines Einspruchsverfahrens möglich. Daher ist das EPG-Nichtigkeitsverfahren ein attraktives Instrument für Wettbewerber und es ist anzunehmen, dass es rege genutzt werden wird, besonders natürlich, wenn es sich um sehr wichtige/wertvolle Patente handelt.
Ein weiterer strategischer Gesichtspunkt kann die „Stärke“ des betreffenden Patents sein. Wenn aus dem Prüfungsverfahren oder aus parallelen Verfahren in anderen Ländern bekannt ist, dass es keinen relevanten Stand der Technik gegen ein Patent gibt, wird dies eher für die Nutzung des neuen EPG-Systems sprechen, da dann die Vorteile des EPG-Verletzungsverfahrens die potenziellen Nachteile der Nichtigkeitsklage überwiegen sollten.
Während in den meisten am EPG teilnehmenden Ländern eine Rechtsprechung sowohl für Verletzungs- als auch für Nichtigkeitsverfahren existiert, ist dies für EPG-Verfahren natürlich noch nicht der Fall. Obwohl zu erwarten ist, dass sich die Rechtsprechung des EPG in Bezug auf die Nichtigkeit eng an die Rechtsprechung des EPA anlehnen wird, besteht eine gewisse Unsicherheit darüber, wie sie sich in Verletzungsverfahren entwickeln wird, und es bleibt abzuwarten, ob sie so „patentinhaberfreundlich“ sein wird, wie es beispielsweise in Deutschland traditionell der Fall ist.
Alles in allem ist eine gründliche Abwägung der genannten Kostenaspekte und strategischen Gesichtspunkte notwendig, um zu einer Entscheidung über die Nutzung des neuen europäischen einheitlichen Patentsystems für neu erteilte, aber auch bereits bestehende EPs zu gelangen.